Köln

Was ist und welche Folgen hat die Rezession?

Ein deutscher Traditionskonzern nach dem anderen kündigt massiven Stellenabbau an

Eine Gruppe blinder Männer, die im Gänsemarsch von links nach rechts das Bild durchqueren und einer nach dem anderen ins Straucheln geraten und die ersten schon fallen.
Der Blindensturz, Pieter Bruegel der Ältere, 1568
Pieter Brueghel the Elder, Public domain, via Wikimedia Commons

 

Was ist Rezession?
Die Presse meldet am 13. Dezember 2023: Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erwarte einen Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung auch im kommenden Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2024 voraussichtlich um 0,5 Prozent zurückgehen.
In den USA werde die Wirtschaft um 1,25 Prozent wachsen, in Frankreich um 0,75 Prozent und in China um 4,5 Prozent.
Die Bundesregierung geht zu diesem Zeitpunkt noch von 1,3 Prozent Wachstum im Jahr 2024 aus. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der die Regierung berät, prognostiziert in seinem Jahresgutachten ein Plus von 0,7 Prozent.


Am vergangenen Mittwoch (21. Februar 2024) teilte Wirtschaftsminister Habeck bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts mit, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr um 0,3 % zurückgegangen sei. «Für das laufende Jahr prognostiziert der Jahreswirtschaftsbericht zwar eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage, eine deutliche Erholung bleibt aber weiterhin aus.»
Die Wachstumsprognose, die die Bundesregierung noch im Dezember für 2024 veröffentlicht hatte, wird drastisch korrigiert. Sie sinkt von 1,3% auf 0,2%. Und Habeck tröstet: «Die Preissteigerung dürfte sich auf 2,8 Prozent verringern. Zusammen mit einer erwarteten Steigerung von 3,8 Prozent bei den verfügbaren Einkommen, sei daher wieder mit steigenden Reallöhnen zu rechnen.»
Schon im Mai vergangenen Jahres war der Presse zu entnehmen, dass die deutsche Wirtschaft in eine Rezession abgerutscht sei (Wirtschaftswoche 25. Mai 2023). «Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte von Januar bis März um 0,3 Prozent zum Vorquartal und damit das zweite Vierteljahr in Folge, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge wird von einer technischen Rezession gesprochen. Im vierten Quartal 2022 war die Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent gesunken.»
Grund seien sinkende Konsumausgaben der inflationsgeplagten Verbraucher. Dieser Umstand wird gerne als mangelnde Konsumlaune veralbert.

Als Rezession gilt die nachlassende Wirtschaftsleistung im volkswirtschaftlichen Maßstab, gemessen am BIP. Sie lässt sich aber auch an weiteren wirtschaftlichen Merkmalen ablesen. So steigt die Zahl der Insolvenzen und die Zahl der Arbeitslosen. Die Inflation verringert die Kaufkraft, macht Lebensmittel, Mieten, Haushaltsenergie teuer. Die Armut wächst. Laut Creditreform sind 9,5% der Kölnerinnen und Kölner überschuldet, geben mehr Geld aus als sie haben.

Inflation
Folglich hat die Inflation einen Anteil am geminderten BIP. Wenn man dem Statistischem Bundesamt (13. Februar 2024) glauben will, ist die Inflation im vergangenen Jahr um +2,9% gestiegen. Aber die Verbraucherpreise insgesamt nahmen innerhalb eines Jahres um 5,9 % zu. Den Widerspruch konnte ich nicht auflösen, denn wer mehr vom Statistischen Bundesamt wissen will, muss neuerdings ein Kontaktformular ausfüllen. Darauf habe ich wegen vieler Detailfragen verzichtet.
So sah ich bei der Verbraucherzentrale NRW nach.
Die Verbraucherpreise Energie sind um +4,1% gestiegen. Nahrungsmittel sind zwischen Januar 2023 und Januar 2024 um 3,8 Prozent teurer geworden.
Die Lebensmittelpreise steigen aber nicht erst seit einem Jahr, sondern bereits seit dem Sommer 2021. Wenn man die Preise im Januar 2024 mit der Zeit vor den Preisschocks ab Juni 2021 vergleicht, ergibt sich sogar eine Steigerung um knapp 30 Prozent. Die Lebensmittelpreise bleiben weiterhin auf einem hohen Niveau und sind seit März 2023 laut Verbraucherzentrale sogar die Haupttreiber der Inflation. Sowas beeinträchtigt die Kauflaune von Leuten, die zu wenig Geld haben.
Heute (26. Februar 2024) macht die Kölnische Rundschau (KR) unter Berufung auf Verivox mit der Nachricht auf, dass die Preise für Heizen, Strom und Tanken mit über 41 % «noch über dem Vorkrisenniveau» von Anfang 2021 lägen. Ein durchschnittlicher Haushalt müsse 1534 Euro mehr für Energie ausgeben als im Februar 2021. Der Verivox-Berechnung zufolge müsse der Musterhaushalt derzeit 5306 Euro im Jahr aufwenden, im Februar 2021 waren es für die gleich Menge Energie 3772 Euro.
Am Montag, den 5. Februar 2024, schrieb die KR, Titel: «Mietangebote in Metropolen: Preisanstieg beschleunigt sich», im zweiten Halbjahr 2023 seien die Angebotsmieten in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart und Leipzig gemessen am Vorjahreszeitraum im Schnitt um 8,2 Prozent geklettert. Köln liege dabei mit durchschnittlichen 15 Euro je Quadratmeter und einer Steigerungsrate von 7,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr unter dem Mittelwert. Wohlgemerkt betrifft das die Angebotsmieten. Eine Woche später (Montag, 12. Februar 2024) teilte der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) der Presse mit: «Die Jahresveränderungsrate bei den Neuvertragsmieten in Mehrfamilienhäusern verharrte wie im Vorquartal bei 5,8 %. Mit 12,9 % nahmen die Renditen, gemessen am vdp-Index für Liegenschaftszinsen, erneut spürbar zu, die Dynamik war jedoch nicht ganz so ausgeprägt wie im dritten Quartal 2023 (+13,5 %).» Basis der Berechnungen des vdp sind die von über 700 Kreditinstituten der deutschen Finanzwirtschaft eingelieferten Transaktionsdaten, also die tatsächlich realisierten Kaufpreise und Mieten.

Insolvenzen
Das statistische Bundesamt hat am 16. Februar 2024 mitgeteilt, dass die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland im Januar 2024 um 26,2 % gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen ist. Im Dezember 2023 hatte sie um 12,3 % gegenüber Dezember 2022 zugenommen. Seit Juni 2023 sind demnach durchgängig zweistellige Zuwachsraten im Vorjahresvergleich zu beobachten.
Auf der Seite von «Agrarheute» vom 16. Februar 2024 habe ich zu diesem Thema weitere Details gefunden:
«Das Insolvenzgeschehen hat die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite erfasst. Auch wenn berühmte Fälle, etwa im Textilbereich oder im Gesundheitswesen, von sich reden machen, sind alle Hauptwirtschaftsbereiche gleichermaßen von den Steigerungen betroffen.
Das reicht vom Baugewerbe, das gegenüber dem Vorjahr um mehr als 20 Prozent zulegte, über die Dienstleister mit 22,5 Prozent Plus, den Handel mit plus 26 Prozent bis schließlich zum Verarbeitenden Gewerbe mit über 30 Prozent Zuwachs. Nach wie vor bleibt es aber dabei, dass der Tertiärsektor, vor allem die Dienstleister mit fast 60 Prozent (Handel: 19,3 Prozent) den Löwenanteil unter den Branchen hält...
Das Besondere bei den Insolvenzen von Unternehmen im Jahr 2023 ist (laut Agrarheute) allerdings, dass vermehrt große Unternehmen betroffen waren. Die Allianz Trade titelte: 'Großinsolvenzen in Deutschland sind zurück'. Sie zählte 2023 45 Fälle von Großinsolvenzen – 2022 waren es noch 26.
»
Mit Rücksicht auf die Wirkungen der Corona-Seuche war 2021 die Insolvenzantragspflicht gelockert, Fristen verlängert und schließlich gesetzlich eine sogenannte «Insolvenz in Eigenverwaltung» eingeführt worden. Infolge derartiger staatlicher Insolvenzverschleppung kommt es jetzt umso schlimmer. Das gegenwärtige Insolvenzgeschehen wird sich sicher bald in der Erwerbslosenstatistik spiegeln.

Arbeitslosigkeit
BfA: «Im Januar 2024 gab es nach vorläufiger Hochrechnung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit in der Summe 4.823.000 erwerbsfähige Menschen, die Lohnersatzleistungen nach dem SGB III (Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit) oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Bürgergeld für erwerbsfähige Leistungsberechtigte) erhalten haben. Unterteilt nach Rechtskreisen, waren im Januar 2024 921.000 Menschen arbeitslosengeldberechtigt, während 3.971.000 Menschen Ansprüche auf Grundsicherung für Arbeitsuchende hatten. Binnen eines Jahres ist die Zahl der Leistungsberechtigten von Arbeitslosengeld um 89.000 gestiegen. In der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurden seit Januar des letzten Jahres 79.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte mehr gezählt.»

Armut Laut Creditreform (8. Dezember 2023) sind im Jahr 2023 insgesamt 85.210 Personen in Köln überschuldet, das sind 9,5 Prozent. Es gibt aber deutliche Unterschiede in den einzelnen Vierteln.
Während die linksrheinischen Stadtteile eine geringere Schuldnerquote von 7,94 Prozent aufweisen, liegt diese im rechtsrheinischen Köln bei 12,25 Prozent (t-online 15. Dezember 2023).
Die höchste Schuldnerquote verzeichnet mit 22,77 Prozent Gremberghoven. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen Meschenich mit 20,71 Prozent und Lindweiler mit 19,97 Prozent.
Für das Bundesgebiet konstatiert Creditreform ein Sinken der Überschuldung von Verbrauchern.
Angesichts wieder anziehender Insolvenzen, einer anhaltenden Rezession und immer noch hoher Preise, insbesondere bei Gas und Elektrizität, löse diese Meldung zunächst Erstaunen aus. Im Ruhrgebiet, in den größeren Städten ehemaliger Industrieregionen, aber auch in ländlichen Gebieten Norddeutschlands gebe es weiterhin eine anhaltende Überschuldungslage im zweistelligen Prozentbereich.
Für das Bundesgebiet wurde im Herbst 2023 eine Überschuldungsquote von 8,15 Prozent gemessen – knapp 2,8 Millionen Haushalte waren betroffen. Im September 2023 registrierte die Statistik wieder eine Zunahme von 57.000 Betroffenen, nachdem zuvor die Zahlen zurückgegangen waren.

Am vergangenen Donnerstag (22. Februar 2024) erläuterte die KR unter der Überschrift «Große Unterschiede bei den Einkommen» die neueste Strukturdatenerhebung der Stadt. Der Text hat mehrere statistische Probleme zu erklären. Es geht einmal um den Unterschied von durchschnittlichem Einkommen und Meridian-Einkommen, aber auch um den Begriff von Armutsgefährdung. Von Armut wie von Reichtum selbst wird offenbar keine Statistik veröffentlicht, die sogenannte Mittelschicht weist viele Unterteilungen auf. Immerhin kann man diesem Text entnehmen, dass 24% der Kölnerinnen und Kölner offiziell als armutsgefährdet gelten müssen. Das bedeutet, dass in Chorweiler, Finkenberg, Seeberg, Lindweiler, Godorf und Ostheim mehr als die Hälfte der Haushalte «von Armut bedroht» ist. Das Ausmaß der Armut selbst wird, wie gesagt, nicht erfasst.

Reichtum der großen Dax-Firmen, der Banken, der großen Hedgefonds und anderer Schattenbanken.
Am vergangenen Mittwoch (21. Februar 2024) veröffentlichte das Institute of International Finance (IIF - ein globales Lobby-Institut der Banken), den jüngsten globalen Schuldenstand. Letztes Jahr sei der Schuldenberg um über 15 Billionen Dollar weiter auf 313 Billionen angewachsen. Das ist mehr als das Dreifache des Welt-BIPs (2022: 100 Billionen Dollar) und auf der Gläubigerseite ein Berg von fiktivem Kapital, dem Entwertung droht. Für etwa 55% des Schuldenwachstums sind nach dem IIF die USA, Frankreich und Deutschland verantwortlich.
Allerdings ist schon massenhafte Entwertung zu beobachten.
Die Pfandbriefbanken hatten kürzlich Veranlassung zur Klage, dass trotz steigender Mieten die Kaufpreise für Häuser drastisch fallen. Bis Ende 2023 im Schnitt um 7,2%. Vor knapp zwei Jahren, im zweiten Quartal 2022, erreichten die Immobilienpreise ihren Gipfel, nachdem sie sich im Zeitraum ab 2010 nahezu verdoppelt hatten. Seit Mitte 2022 stürzen sie ab.
Nun sind die Stürze aber unterschiedlich steil. Dramatisch rumpelt es bei den Gewerbeimmobilien. Hier beläuft sich die Preisdifferenz zum Vorjahr auf - 12,1 %. Bezogen auf den Höchststand im zweiten Quartal 2022 fielen sie um 16,5 %, nachdem sie sich zwischen 2010 und 2022 um rund 55 % verteuert hatten. Grund für diese heftigen Marktbewegungen sollen allein gestiegene Zinsen sein. Aber die Preisstürze bei den Immobilien - die Schweizer Bank UBS nannte sie im Herbst schon platzende Blasen - gefährden Banken, insbesondere Pfandbriefbanken, und hier namentlich die Deutsche Pfandbriefbank (FAZ 14. und 16. Februar 2024).
Nun sinken nicht nur bei uns die Gewerbeimmobilien im Preise, sondern auch in den USA. Im vergangenen Frühjahr rappelte es am Finanzmarkt. Die Silicon Valley Bank (SVB) hatte plötzliche Verluste im Umfang von 1,8 Milliarden Dollar beim Verkauf von Wertpapieren zu verzeichnen. Eine Notkapitalerhöhung scheiterte am 10. März 2023. Die Bank wurde zahlungsunfähig. Daraufhin übernahm die US-amerikanische Absicherungs- und Aufsichtsbehörde (FDIC) die Kontrolle über das Finanzinstitut.
Die Bank hatte, ebenso wie es Pensionsfonds und andere große Anleger machen, viel Geld in mit Immobilien besicherte Wertpapiere mit langer Laufzeit sowie in Staatsanleihen investiert. Denn Anleihen, insbesondere Staatsanleihen, erscheinen seriös und sicher, auch wenn sie keine Höchstgewinne abwerfen. Aber Anleihen werden mit festen Zinsen und Zeiträumen begeben. In der Regel sind langfristige Anleihen ergiebiger als kurzfristige. Unüblich allerdings und ein Krisenindiz ist die sogenannte inverse Zinskurve, die die Umkehrung anzeigt, also Umstände, in denen kurzfristige Anleihen höher verzinst werden. Denn viele Wertpapiere, die die SVB in der Niedrigzinsphase erworben hatte, verloren im Maße steigender Zinsen an Wert. Kein Wunder, dass die Anleger in einer solchen Situation zu den höher verzinslichen Papiere neigen und umsteigen. Hier entwickelte sich eine Kaskade. Das veranlasste die Bank, Anlegern höhere Zinsen zu bieten, damit diese ihre Einlagen halten.
Das ist kein Problem, wenn die Anleger die Termine abwarten können. Allerdings gilt das nicht für den Fall, dass das Geld sofort und dringend benötigt wird. In dem Fall sinkt der Marktwert der Anleihe unter ihren Nennwert. Der Markt erpresst Preisabschläge. Just damit war die SVB konfrontiert, als ihre Kunden rund 40 Milliarden Dollar von ihren Konten abzogen.
Es kollabierten aber außer der SVB noch weitere US-Banken. Weitere Bankrotte mussten von der Notenbank abgewendet werden.
Am Montagvormittag (13. März 2023) stürzten die europäischen Aktienbörsen ab. Der Dollar geriet unter Druck, die Kapitalmarktzinsen gaben nach. Die Kurse von Commerzbank und Deutsche Bank verloren 10%. Der Dax sackte um 500 Punkte ab (= - 3,27%).
Besonders betroffen war die Crédit Suisse. An diesem 13. März 2023 verlor ihre Aktie zunächst 30%. Drei Tage später, am 16. März, beanspruchte die Crédit Suisse 50 Milliarden Franken außerordentliche Liquiditätshilfe von der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Am Sonntag, den 19. März, wurde bekannt gegeben, dass die Konkurrenzbank UBS die Crédit Suisse übernimmt.
In diesen Ereignissen sind sicherlich Billionen verbrannt.

Raunen der Analysten
Bei ntv vom 6. Februar 2024 fand ich den folgenden Text, der die Interessenlage der Konzerne treffend zusammenfasst:
«Von Bosch über BASF bis Miele: Ein deutscher Traditionskonzern nach dem anderen kündigt massiven Stellenabbau an. Die deutsche Wirtschaft hat nicht bloß ein Konjunkturproblem - der gesamte Industriestandort ist in Gefahr. Die Wirtschaft fleht die Politik an, sich sofort um die Wettbewerbsfähigkeit zu kümmern.
BASF, Bosch, Volkswagen, Bayer, Continental - die besten Adressen der deutschen Industrie kündigen der Reihe nach Massenentlassungen an. Vor wenigen Tagen erst wartete Autozulieferer ZF Friedrichshafen mit der Nachricht auf, dass möglicherweise bis zu 12.000 Stellen wegfallen könnten. Und nun die Hiobsbotschaft, dass möglicherweise Tausende Jobs bei Miele auf dem Spiel stehen. Es sei ein Jahr mit 'schweren Entscheidungen und zahlreichen, teils tiefgreifenden Veränderungen', schrieb Firmenchef Markus Miele in einer Mitteilung an die Beschäftigten. Ein Stellenabbau werde 'sich nicht vermeiden lassen'. Medieninformationen zufolge könnte der Waschmaschinenhersteller weltweit rund 2000 Arbeitsplätze streichen...
Markus Miele spricht der gesamten deutschen Industrie aus dem infarktbedrohten Herzen. 'Im produzierenden Gewerbe brennt es lichterloh. Es droht ein Flächenbrand', warnen die Industrieverbände. Allein die Chemieindustrie hat binnen zwei Jahren 23 Prozent ihrer Produktionsmenge verloren. Es droht in energieintensiven Branchen ein historischer Einbruch. In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz haben die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft (DIHK, BDA, BDI und ZDH) vergangene Woche Alarm geschlagen: 'Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen - und die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland nimmt zu.' In dem ungewöhnlichen Brandbrief wird die Bundesregierung zum Handeln aufgerufen: 'Wir appellieren dringend an Sie und die gesamte Bundesregierung, jetzt Maßnahmen zu ergreifen.'
Auch mehrere Wirtschaftsforscher warnen vor einer 'Deindustrialisierung Deutschlands', weil die Politik die Standortbedingungen immer weiter verschlechtere. 'Die neusten Zahlen über die Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland machen mir Sorgen', sagt Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat errechnet, dass bereits 2022 rund 132 Milliarden Dollar mehr Direktinvestitionen aus Deutschland abgeflossen sind, als im gleichen Zeitraum in die Bundesrepublik investiert wurden. Das sind nicht nur die höchsten Netto-Abflüsse, die jemals in Deutschland verzeichnet wurden. Deutschland erleidet damit den höchsten Kapitalabfluss aller OECD-Staaten. Für 2023 und 2024 wird keine Besserung erwartet - 'Deutschland blutet regelrecht aus'
», raunen Analysten.
Dieser Bericht lässt allerdings auch erkennen, wie die Konzerne auf den Busch klopfen und auf Staatshilfen drängen, so wie das seit der Finanzkrise 2008 mittels ESM (= Europäischer Stabilitätsmechanismus, 2012), anlässlich der Seuche 2020 und im vergangenen Jahr mit 29 sogenannter Sondervermögen in einer Summe, die die des Bundeshaushalts erheblich übersteigt, gemacht worden ist. Dieses Gelddrucken hatte die Inflation samt wirtschaftlicher Verheerungen zur Folge.

Habecks Wirtschaftsbericht vom vergangenen Mittwoch (21. Februar) plant 10 Maßnahmen:

Die Stärkung der Investitionsdynamik, unter anderem über das Wachstumschancengesetz.
Der Abbau unnötiger und der Verzicht auf unverhältnismäßige zusätzliche Bürokratie.
Die Unterstützung von Innovationen, unter anderem über die Stärkung der Forschungszulage.
Die Erhöhung des Arbeitskräfteangebots, unter anderem über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz .
Die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen, unter anderem über das Zukunftsfinanzierungsgesetz.
Die Erhöhung des Angebots an erneuerbarer Energie, unter anderem über Novellierung des Erneuerbaren Energiengesetzes (EEG).
Die Förderung klimaneutraler Industrieproduktion, unter anderem über Klimaschutzverträge.
Die Diversifizierung des Außenhandels, unter anderem über ausgeweitete Handelsbeziehungen.
Die Schaffung von bezahlbarem und nachhaltigem Wohnraum, unter anderem über neue beziehungsweise ausgeweitete Förderprogramme sowie temporär geänderte Abschreiberegelungen.
Die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, unter anderem über zusätzliche Finanzmittel.

Zum Wachstumschancengesetz erläuterte Robert Habeck: «Wir müssen Investitionen anreizen. Das sehen wir gemeinsam. Was wir noch nicht ganz geklärt haben, ist, wie wir es machen. Aber dazu ist ja erst mal notwendig, dass diskutiert wird.»
Wahrscheinlich gehen diese Maßnahmen mit Sozialkürzungen einher, dennoch werden sie nicht den gewünschten Erfolg haben. Es nützt auch nicht, dass Habeck mit dem Eingeständnis von Fehlern versucht, seine abgestürzten Sympathiewerte wieder zu erhöhen. Er bekennt, viele der wirtschaftlichen Probleme seien trotz der eklatanten externen Herausforderungen hausgemacht. Übermäßige Bürokratie, der Fach- und Arbeitskräftemangel, angesichts der Notwendigkeiten zu wenig private und öffentliche Investitionen, all das bremse laut Habeck die wirtschaftliche Dynamik. Diese Probleme hätten sich zum Teil über viele Jahre hinweg angestaut und verfestigt.

Nun sind diese Versäumnisse von unterschiedlicher Qualität. Aber nehmen wir mal den Mangel an Investitionen: Was könnte der Grund dafür sein?
Lasst mich dazu etwas ausholen.

Die mittlerweile chronische Überproduktionskrise ist älter als die Corona-Seuche und der Ukraine-Krieg, die häufig für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht werden. Auf der Kreismitgliederversammlung am 16. Mai 2020, als wir den großen Saal im Bürgerhaus Stollwerck teuer mieten mussten, um unsere Kandidatur zur Kommunalwahl unter den strengen Auflagen der Seuchenschutzbestimmungen zu sichern, hatten wir uns darüber schon verständigt.
Zitat: «Das gegenwärtig herrschende Gemenge von Epidemie, Kontaktbeschränkungen und Überproduktionskrise wird gerne, aber unzutreffend als Corona-Krise bezeichnet. So, als wenn die Seuche eines Tages mittels Impfstoff einzudämmen wäre und die Krise damit überstanden. Diese Hoffnung täuscht. Denn tatsächlich haben wir es mit einer säkularen Wirtschaftskrise zu tun, die von der Seuche allenfalls ausgelöst, aber nicht verursacht worden ist. Sie hat sich schon lange angekündigt. Der Bericht des Kreisvorstands auf unserer Kreismitgliederversammlung vom 9. November vergangenen Jahres (2019) begann mit dem Satz: 'Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Bundesrepublik Deutschland, die EU und wahrscheinlich sogar die Weltwirtschaft am Beginn einer neuen Krise stehen.'»

Das Rätsel Rezession
Die Rezession bleibt bürgerlicherseits ein Rätsel. Aber bekanntlich sind Produktion und Konsumtion im Kapitalismus der Kapitalverwertung untergeordnet. Mehrwert wird nur in der Produktion geschaffen und zwar im Verhältnis zum Gesamtkapital, das sich aus variablem und konstantem Kapital zusammensetzt. Im Prozess der Akkumulation steigt der Anteil des konstanten Kapitals an der Gesamtmasse des vorgeschossenen Kapitals beständig an und mit ihm die organische Zusammensetzung des Kapitals. Als variabel werden die Arbeitskosten bezeichnet, als konstant die Kosten der Maschinen und Produktionsstätten. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte drückt die zunehmend organische Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate. Sie droht zu fallen. Wir haben es mit dem «tendentiellen Fall der Profitrate» zu tun. Um den zu kompensieren, ist ein steigendes Minimum von Kapital, seine vermehrte Akkumulation und Konzentration nötig. Es wird also ein beständiges Größenwachstum der angewandten Einzelkapitale erzwungen.
Das reicht aber nicht. Denn nun muss dieses Plus an Mehrwertmasse auch bei eingeschränkter Aufnahmefähigkeit des Marktes noch realisiert werden. Dieses Problem kulminiert in der Krise: «Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde.» (MEW 25, 501)
Im Kapitalismus der freien Konkurrenz führt der Überschuss periodisch zu Entwertung und Brachlegung von Kapital. Im Monopolkapitalismus wird dieser Überschuss chronisch und verwandelt sich in Geldkapital, das auch in seiner fiktiven Eigenschaft aggressiv nach Verwertung sucht. Nur expandierend, durch die Unterwerfung und Ausbeutung von immer mehr fremder Arbeit, fremdem Eigentum, fremdem Kapital kompensiert die absolute Masse von Profit dessen relativen Schwund.
Die Krisenentwicklung hat also ihren Grund nicht in geringer Konsumtion oder den Verteilungsverhältnissen. Vielmehr ist sie Folge der Setzung von Kapital als Selbstzweck, als sich selbst verwertender Wert, als Verhältnis, das die Produktion zur Ausdehnung drängt. Am Ende wird allein durch die Entwertung von Kapital die Krise gelöst.
Das beobachten wir gegenwärtig, wenn Baustellen stillgelegt werden, wenn Raketen Gaza samt palästinensischer Bevölkerung planieren, wenn auf die steigenden Lebensmittelpreise Hunger folgt, wenn die obdachlos Gebombten in Zeltstädte flüchten, wenn Miele, Ford und Karstadt große Mengen von Beschäftigten entlassen.
Rettungsschirme für Banken, Milliarden-Sondervermögen für die Aufrüstung und Krieg, Milliarden-Sonderfonds für sogenannte Wachstumschancen sorgen für die Umverteilung von Arm zu Reich, von kleinem zu großen Kapital. Solche Fonds und Sondervermögen sprießen gegenwärtig wie Pilze aus dem Boden. Heute legte die Bundestagsfraktion der Grünen einen neuen Vorschlag auf den Tisch. Name: «Deutschland-Investitionsfonds». Sie wollen «im großen Stil Anreize für private Investitionen in Zukunftstechnologien setzen.»«Wenn man es ernsthaft angehen will, liegen wir im Bereich von Hunderten Milliarden Euro.» sagt Fraktionschefin Katharina Dröge.

Klaus
MV der DKP Köln-Innenstadt, 26. Februar 2024


Was ist und welche Folgen hat die Rezession?